Holzschnitte
zum "Noah"
Als ich mich
für Prof. Hansen-Bahia als Mitarbeiter an meinem Buch "Noah und
seine Kinder" entschied, war es mir klar, daß ich mir mit dieser
Wahl nicht einen Illustrator verschaffte. Was ich suchte, war:
nicht Buchschmuck, nicht Stützen für die Fantasie des Lesers,
nicht den Autor spielerisch ergänzende Einzelheiten, sondern:
dasselbe noch einmal ! Dieselbe Thematik aus dem
Nacheinander des epischen Flusses übersetzt in das Nebeneinander
des Bildes. Das bedeutet: ein in den Nebeln der Vergangenheit
treibendes Menschheitsgeschehen rückt jäh und hart nach vorn, in
die Gleichzeitigkeit mit uns. Ein kühnes Unterfangen, und darum
ein Glück für die beiden Autoren, daß sie die sintflutliche Welt
nirgendwo außerhalb ihrer selbst entdecken konnten, sondern daß
sie hinabsteigen mußten in die tieferen Schichten ihrer Seele,
wo der Mythos gewissermaßen als geistiges Gen schlummert, eine
Überlieferung von Anfang her.
Ich war
leicht erschrocken, als dann mein erster Blick auf die Blätter
fiel, es war wie der Anprall einer plötzlich aus der Tiefe
aufsteigenden Woge: blendender Schaum, schaukelnde Kraft und -
auch das ! - ein unbestimmbar schwarzer Bodensatz : Mitgift des
Abgrunds. Ein gebändigtes Ungetüm also, was uns aus diesen
Blättern der Sintflut angriff. Jemand, der neben mir stand,
sagte mit einer Stimme, als fröstelte ihn: "Nein, wie brutal!"
Es klang nicht wie ein Lob, und so fragte ich unwillig, ob denn
ein Fachmann mythischer Szenerien meine Sintflut hätte
illustrieren sollen. Geordnete Meere mit schön gekräuselten
Wellen braucht man nicht zu verachten, indes - Noah hatte es mit
dem Wasser der Vernichtung zu tun, und der Meister, der diese
Bilder aus dem Holz schnitt, mit Menschen, deren Schicksal und
Gebärdensprache zwischen dem unbegreiflichen Ende ihrer Welt und
dem ebenso unbegreiflichen neuen Anfang ausgespannt lag. Ein
Mensch unserer Tage steht diesem Thema, diesem Noah und seinen
Kindern näher als selbst große, ahnungsvolle Naturen aus andern
Jahrhunderten, einfach weil er Art und Ausmaß unserer
Zerstörungskräfte kennt, weil er weiß, was möglich ist.
Wenn also
Hansen-Bahias Formensprache "brutal" wirkt, so entspricht das
dem ersten Gesetz, daß der Stoff die Form mit sich bringt; und
dem anderen, daß die Form den Stoff aufzufressen hat. Dieser
Stoff aber ist ungeheuerlich, und die Form ist wie die
Riesenschlange nach dem Fraße, von dem, was sie verschlungen
hat, gezeichnet.
Stefan Andres
+
"Odysseus"
Zu den
mancherlei Gaben, über die der Holzschneider Hansen-Bahia
verfügt und die ihn auszeichnen, gehört sein erstaunliches
Erzählertalent. An seltsamen Erlebnissen und Abenteuern,
Begegnungen und Erfahrungen ebenso reich wie an Phantasie und
Einbildungskraft, weiß er seine Zuhörer merkwürdig zu fesseln
und die gebannt Lauschenden auf suggestive Weise zu verzaubern.
Ein bewundernswertes Gedächtnis suffliert ihm dabei. Seine
Einfälle, skurril, grotesk, manchmal auch makaber, sprudeln und
kommen schöpferisch-geistvollen Fabulieren, die sich nicht genug
tun kann und sich des Wortes wie des Holzes als Medium und
Material bedient.
Die Freunde
des Künstlers - der Kreis seiner Freunde ist nicht eben klein -
kennen und lieben seine Kunst des improvisierten Erzählens und
haben bei gelegentlichen Symposien erlebt, wie es ihn immer
wieder zu hymnischen Aussagen hinreißt, wie seine mündlichen
Schilderungen S. Miguels - des Hafenviertels von Bahia und
seiner Menschen - zu dithyrambischen Lobreden werden und wie er
selbst am Ende, wenn es in bacchantischen Tiraden mit ihm
durchgeht, die überdimensionale Gestalt des unvergänglichen
Rhapsoden annimmt und - Barde wie Troubadour - Homer-Odysseus,
die Scheherezade, Casanova und Münchhausen, wie er alles in
einem wird.
Die Heimkehr
aus Irrungen und Wirrungen, das
Nach-Haus-und-zu-sich-selbst-Finden, bleibt das große Thema der
Weltliteratur und wird besonders nach starken Erschütterungen
und schweren Heimsuchungen immer wieder neu variiert.
Auch
Hansen-Bahia gelangte erst auf weiten Umwegen an seinen
gegenwärtigen künstlerischen Standort. Er hat diese Lehr- und
Wanderjahre selber wiederholt als seine Odyssee angesehen und
bezeichnet und sich in mehr als einer Situation in Homers
erfindungsreichem Helden wiedererkannt.
Mit dieser
Spiegelung in dem unvergänglichen antiken Vorbild steht
Hansen-Bahia nicht allein da. Wir begegnen ihr in der Kunst der
Gegenwart immer wieder, ganz zu schweigen von der modernen
Literatur, in der wir die letzten Irrfahrer just mit Thomas
Wolfe und Ernest Hemingway erlebt haben. Die Reihe der Maler
geht von Max Beckmann, der sich in seinen Tagebüchern häufig mit
Odysseus identifizierte, bis zu Werner Gilles, den an den
sonnendurchglühten Gestaden des Mittelmeeres der lebendige Odem
archaischer Vorzeit anwehte. "T'ja t'ja, - wie viele Odysseuse
gibt es?" fragt Beckmann am 6. November 1943 in seinem Tagebuch.
Kurz zuvor hatte er "Odysseus und Kalypso" beendet, das heute
die Kunsthalle Hamburg besitzt.
Gewiß steht
hinter jeder künstlerischen Gestaltung das persönliche Erlebnis,
die eigene Anschauung, die selbstgewonnene Überzeugung. Mag die
Erinnerung an den Anlaß auch längst verschüttet sein und der
Bezug darauf dem Schaffenden selbst gar nicht mehr zum
Bewußtsein kommen. Indirekt schreibt der Dichter immer
Selbstbiographie und gibt der Maler mit jedem Bild eine
Selbstdarstellung. Mag die Umschreibung auch noch so weit von
der Person des Schreibers fortführen und das Motiv, der
behandelte Gegenstand, dem Maler noch so fern liegen oder sich
gar ins Gegenstandslose verflüchtigen, im Grunde offenbart der
Maler mit jedem Pinselstrich, ebenso wie der Dichter mit jedem
Federzug, mehr von seinem Persönlichsten, als er vielleicht
wahrhaben mag und ihm lieb sein kann. Was wissen wir denn von
den letzten Beweggründen unseres Tun und Lassens?
Hansen-Bahias
erste Odysseus-Blätter (mit Ausnahme von einem Blatt "Odysseus
in Bahia", 1958; Kat. Nr. 160) entstanden 1960 auf Burg
Tittmoning, unmittelbar nach den Holzschnitten zu den Songs der
Dreigroschenoper von Brecht. Sämtliche Tafeln - großartig schon
im Formalen, in der Art und Weise, wie sich die freistehenden
Figuren in das Geviert des imaginären Raumes fügen (vgl. Kat.
Nr. 32-34) zeigen einen Odysseus, der die honigsüßen Früchte der
Lotophagen gewiß ebensowenig verschmäht wie Kirkes Fülle des
Fleisches und süßen Weines oder Kalypsos schöngewölbte Grotte.
Dennoch denkt er nicht daran, der Heimat für immer zu entsagen,
den Lauf der rollenden Jahre zu beenden und sich als
Lotospflücker zu verdingen.
Wie ganz
anders etwa der Odysseus Beckmanns, der allen Lockungen Kalypsos
kühlen Blickes begegnet und die Arme lässig im Nacken
verschränkt. Beckmann. - Hansen verehrt ihn wie nur einer - hat
sein Bild in tiefer Depression gemalt. Odysseus und Kalypso
umgeben Fabelwesen, unheimliches apokalyptisches Getier. Der
Sinn des symbolträchtigen Bildes bleibt verborgen. Beckmann
wollte die Verschlüsselung seiner Bildgedanken: "Sterne sind
unsere Augen. Weltnebel unsere Bärte, Menschenseelen unser Herz.
Wir verstecken uns, Ihr seht uns nicht; doch das wollen wir
gerade in Morgenröte, um Mittag und in schwarzer Nacht."
Hansen-Bahia
hat seinen Odysseus von 1960 (Kat. Nr. 243 ff.) gleichfalls
chiffriert, jedoch nicht, um die Fülle der Gesichte und böse
Ahnungen zu bannen, sondern um seine heitere Selbstironie zu
maskieren und die Neigung zu kaschieren, Hohn und Spott über
"göttergleiche" Helden auszuschütten. Sein Hang zur Persiflage
geht so weit, daß er sich selbst über die Lustigkeit lustig
macht und noch die Karikatur wieder karikiert: zum Beispiel in
seinen Holzschnitten zu den Songs der Dreigroschenoper. In ihm
ist jene Travestierungslust, von der Karl Scheffler (als er sie
bei dem jungen Pascin wahrnahm) sagte, sie stelle auf
unwahrscheinlichen Umwegen die Natur wieder her. Immer wieder
durchstößt Hansen-Bahia den doppelten Boden, um Menschen und
Dinge zu ergründen und ihre wahre Natur zu erkennen.
Die
Holzschnittfolge beginnt mit dem Erzähler Odysseus, dessen Kopf
und Hals eher einem windgedörrten Galgenvogel vom Format eines
François Villon gehören könnte als einem göttergleichen Helden.
Das verschmitzte Gesicht des Rhapsoden läßt von vornherein
Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Erzählung aufkommen.
Schwerlich zu denken, daß er in diesem Aufzug seine Abenteuer an
der Tafel des Phäakenkönigs Alkinoos zum besten gab und daß eine
Nausikaa Gefallen an ihm gehabt haben soll. Eher schon mag er in
dieser Verfassung den Sauhirten auf Ithaka einen Bären
aufgebundenen haben. Ist er überhaupt der Odysseus Homers und
nicht vielmehr der Seefahrer Sindbad oder gar der alte
Segelflicker Francisco, der das Mysterium der See kennt und der
an den Kais im Hafen von Bahia seine Geschichten von Jemanjá,
der Königin der Meere, und
ihren verhängnisvollen Lockungen zum besten gibt ? Auch Hansen
ist einer von denen, die eine Legende zurücklassen, Geschichten,
" über die sich die andern am Hafen Gedanken machen".
"Was sagst
du? Hafen? Schiffe? Guter Gott!" Ja, "wie viele Odysseuse
gibt es ? " Beckmann, Wolfe, Hansen-Bahia, sie sind alle Brüder
im Geiste. "Ihr seid doch alle gleich. Dein Vater war auch so.
Immer wollte er fortgehen und reisen. Hätte ich ihn gehen
lassen, er wäre übers Angesicht der Erde gewandert. Guter Gott!
Eine Rasse von Wanderern! Kind!
Kind ! ... Was ist es ? SCHIFFE WIEDERUM ! "
Konrad
Tegtmeier
(Der Text ist
mit freundlichem Einverständnis des Verfassers aus dem Vorwort
zur Holzschnittfolge "Abenteuer des Odysseus"
entnommen.Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Darmstadt, 1962.)
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