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Hansen-Bahia, Essay über Leben und Werk

Hansen-Bahia, der Doppelname, der sprachlich zwei Welten miteinander verbindet, ist nicht von ungefähr. Aus ihm spricht mehr als nur die bekennende Liebe eines Mannes zu seiner Wahlheimat. Er deutet schlechthin auf jene beiden Kräfte, die Charakter und Schicksal eines jeden Menschen - wie viel mehr aber das unseres Künstlers - zeitlebens bestimmen: Herkunft und Umwelt

Der heutige Brasilianer ist in einem Lande geboren und aufgewachsen, in dem die Künste des Holzschneidens und des Druckens eine jahrhundertlange, reiche Geschichte haben. Als er im Jahre 1915 in Hamburg zur Welt kam, erlebte die älteste aller graphischen Techniken in Deutschland nach langer Periode künstlerischen Tiefstands eine ihrer höchsten Blütezeiten. Genau ein Jahrzehnt zuvor war die Künstlergemeinschaft "Brücke" gegründet worden, Keimzelle einer der sowohl entwicklungsgeschichtlich als auch künstlerisch bedeutendsten Richtungen der Neuzeit. Durch das kraftvollste und zugleich schlichteste Medium, durch das Schwarzweiß des Flächenholzschnitts, erstrebte man eine geistige Erneuerung des in Konventionen erstarrten Daseins. Tiefe Sehnsucht nach einem einfachen und freien Leben, nach innerer und äußerer Wahrhaftigkeit beherrschte das Denken und Fühlen jener Generation in Deutschland, deren Hoffnungen durch zwei Weltkriege und ein System politischer Unterdrückung zunichte gemacht wurden.

Es zeugt für die idealistische Gesinnung des jungen Karl-Heinz Hansen, daß er an solche Vorbilder anknüpft, als er 1946 - ein Jahr nach Kriegsende - den Holzschnitt als das ihm legitime künstlerische Gestaltungsprinzip erkennt. Er greift damit zu einer Technik, die seit alters her als eine so durchaus deutsche Kunstäußerung empfunden wird, daß sie vor allem für den Ausländer von dem Begriff  "Deutsche Kunst" nicht zu trennen ist. Von der Aussage her sind es neben den Werken des norddeutschen Expressionismus, ihm durch ihren Gefühlscharakter und ihre Hintergründigkeit wesensverwandt, vornehmlich die Schöpfungen des Flamen Frans Masereel, dessen "großartige soziale Schwarzweißphantasien" (Hartlaub) den Künstler in ihren Bann ziehen. Damals fielen jene beiden Entscheidungen, die fortan für Hansens Schaffen den tragenden Grund bilden sollten: der Mensch wurde sein Thema, der Holzschnitt sein Ausdrucksmittel.

Künstlerische und formale Reife aber sollte das Werk dieses Holzschneiders außerhalb der Grenzen seines Geburtslandes erfahren. Sie erwächst ihm aus der Begegnung und der Auseinandersetzung mit einer "lateinischen" Welt, die zugleich von Lebenselementen indianischen wie afrikanischen Ursprungs durchdrungen ist. In Brasilien, in São Salvador da Bahia zumal, wird aus dem Angeregten bald selbst ein Anreger, der schließlich einen großen Kreis von jungen brasilianischen Graphikern zu inspirieren vermag. Es ist bemerkenswert, wie unbeirrbar Hansen hier als Künstler einen Weg einschlägt, der mit jedem Tag mehr ganz sein eigener werden sollte. Allen Zeitströmungen weltweiter Internationalisierung und Nivellierung der Künste zum Trotz, in denen der Sinn für Originäres verlorenzugehen droht, schafft er ein graphisches CEuvre, das nicht nur außerhalb Südamerikas, sondern gerade am Ort seiner Entstehung als etwas empfunden wird, das an die Wurzeln des wesenhaft Bahianischen rührt. "Diese Wurzeln", so umschreibt es später einmal Jorge Amado, "verankerten sich im fruchtbaren Nährboden eines Deutschen, der hier lebte und für immer Bahianer wurde."

Die Gefahren, die dem Künstler auf solchem Wege auflauern, sollen nicht verschwiegen werden. Es ist die Skylla einer unaufschiebbaren Einengung und endlichen Erschöpfung der Thematik auf der einen, und die Charybdis eines unmerklichen Abgleitens vom Bereich der Kunst hinüber in den des nur noch Folkloristischen auf der anderen Seite. Hansen hat beides rechtzeitig gesehen. Er begegnet ihm durch eine schier unermeßlich scheinende Wandelbarkeit der Ausdrucksform, die doch stets aus dem inneren Wesen des Dargestellten genommen bleibt, sowie vor allem dadurch, daß er seinen Bildern - mag uns aus manchen von ihnen scheinbar ausschließlich Genrehaftes anblicken - Charakterzüge beizugeben weiß, durch die sie hinausgehoben werden in die allgemein-menschliche Erlebnissphäre. Unter den "Kleinen Bahia - Blättern" der Jahre 1957/58 befinden sich einige, die gar an Sur-Realistisches gemahnen, sowie eines: "Odysseus in Bahia (Kat. Nr. 160) - selbstbiographischer Ausdruck des Umgetriebenseins, Ausdruck der Einsicht des Künstlers, daß die Zeit gekommen ist aufzubrechen, umbildende Kräfte zu mobilisieren.

Als Hansen im Jahre 1959 - zehn Jahre nach seinem Fortgang - in die alte Heimat zurückkehrt, bringt er eine Fülle angesammelter Bilder mit nach Hause, deren technischer und erzählerischer Reichtum ihn auch hier rasch als einen eigenständigen, für die Entwicklung der modernen Graphik entscheidenden Künstler ausweisen. Auf Burg Tittmoning/Oberbayern findet er in der einstigen Kavalierswohnung im Torbau geeignete Räumlichkeiten, die er zu einer neuen Werk- und Wirkstätte ausbaut. Für Hansens weiteren Weg als Holzschneider gewinnt dieser Aufenthalt, der vier Jahre währen sollte, eine besondere Bedeutung: "Es scheint mir bemerkenswert und gibt mir zu mancherlei Gedanken Anlaß, daß meine besten brasilianischen Arbeiten erst in Deutschland aus einem gewissen Abstand heraus entstanden sind. Saudade ist ein schönes Wort, es besagt, daß man etwas ersehnt was man nicht hat. Sie ist der geheime Motor meines Schaffens, sie verklärt das Erlebte, sie abstrahiert und läßt den Künstler das Erlebnis übersetzen und aus dem Bereich des Persönlichen ins Allgemeingültige erheben." So drückt er es selbst einmal aus und gibt damit zugleich die Erklärung dafür, daß er auch während dieser Zeit in Deutschland letzten Endes nichts anderes in den Stock schneidet als das, was als das einmalige, unauslöschliche Erlebnis seines Lebens zu gelten hat - die Begegnung mit Bahia. Selbst während seiner Arbeiten an neuen Mappenwerken und Büchern, deren Themen nun dem europäischen Kulturkreis entstammen, lassen ihn die in Brasilien gewonnenen künstlerischen Eindrücke nicht los, und sogar die deutschesten aller Vorwürfe - "Die Nibelungen" (1962), Kat. Nr. 244 - geraten ihm unter den Händen unversehens "bahianisch". Vielleicht gewinnen die besten seiner damaligen Blätter gerade dadurch für den Betrachter jenes Maß an Unwirklichkeit, das der alte Corinth für die Summe der Kunst erklärte.

Doch noch sind Hansens Wanderjahre nicht zu Ende. Wieder taucht das Odysseus-Motiv - jetzt in vielfach gewandelter Gestalt - in seinen Holzschnitten auf und gibt uns Kunde von ihn erneut bedrängender Unrast. Abenteurerblut und eine nicht bezähmbare Sucht nach Neuem ziehen den fast Fünfzigjährigen abermals hinaus. Er folgt einem Lehrauftrag in den afrikanischen Erdteil und bringt die dort bis dahin nicht geübte Technik des Holzschnittes nach Äthiopien. Unter seiner Anleitung greifen junge, unverbildete Menschen, die er in seiner Graphikschule in Addis Abeba um sich versammelt, erstmals zu Hohleisen und Geißfuß. Ihre Themen sind die ehrwürdigen Legenden des Landes, die ihnen vertrauten Vorbilder die wunderbaren alten Buchmalereien christlich-äthiopischer Kunst. Er wäre nicht Hansen, wenn er nicht von dem Zauber der altbiblischen Welt gefangengenommen würde. Hingerissen von der bunten Schönheit jener Landschaft, wähnte er, es könne von dort her ein gleiches künstlerisches Fluidum auf ihn übergehen wie derzeit in Brasilien, welches umgesetzt wiederum zum Holzschnitt würde. "Aber was ist Ersatz?" so fragt er selbst bald zweifelnd. Und: " Wäre ich vorher nicht schon von Bahia infiziert gewesen..."

Eine Besuchsreise nach Brasilien gibt den Ausschlag: er kehrt Äthiopien den Rücken, nicht ohne zum Abschied seinen Dank an dieses Land in einigen Blättern niederzulegen, die zu den wohl eindrucksvollsten seines Werkes gehören. Das Jahr 1967 findet ihn, den Kopf voller neuer Bildideen, dort, wo der Künstler Hansen-Bahia nach seinem eigenen Bekenntnis zwölf Jahre zuvor "ein zweites Mal geboren" wurde.

Blicken wir zurück, so bleibt die Feststellung, daß das brasilianische Ereignis im Leben dieses Deutschen von Anfang an mehr als eine Episode gewesen ist. Gehalt und Gestalt seines reichen, Tausende von Blättern umfassenden Holzschnittwerkes liefern einen Beweis mehr für die Bedeutung, die dem Einfluss der Umwelt und der aus ihr bezogenen Potenzen für das Schaffen eines bildenden Künstlers zukommt. In ihm kontrastieren Elemente einer aus dem Emotionalen aufsteigenden, ausdrucksintensiven Vorstellungswelt mit solchen einer streng rationalen konstruktiven Formfindung. Dieses Gegensatzpaar, in den verschiedenen Schaffensperioden zwar immer wieder mit unterschiedlicher Verteilung der Gewichte zu neuer stilistischer Einheit verschmolzen, bleibt doch in allen Phasen kennzeichnend für die dem Werk dieses Deutsch-Brasilianers innewohnende Ambivalenz germanischer und romanischer Kräfte.

Von Kirchner gibt es eine Äußerung, die hier zum Abschluß zitiert werden mag, weil sie genau das ausdrückt, was wir zu definieren versuchen: "Romanisches und germanisches Kunstschaffen sind grundsätzlich verschieden. Der Romane gelangt zur Form, indem er vom Gegenstand ausgeht, und erreicht durch diesen die Natur. Der germanische Künstler schöpft die Form aus seiner Phantasie, ausgehend von einer Innenschau ... Für den Romanen liegt die Schönheit in der Erscheinung, der andere sucht sie hinter den Dingen." Hansen-Bahia ist der Schnittpunkt, in dem sich die beiden Künstlernaturen treffen. 

                                                                                                                                                             Peter Kothe`