Hansen-Bahia:
Mein erstes Buch
Im
Atelierhaus am Strand von Amaralina haben wir gedruckt: Nelson,
Cândido und ich. Hier haben wir mein erstes Buch gemacht, und es
hieß "Flôr de S. Miguel''.
Wenn ich
heute daran denke, wie dieses Buch entstanden ist, unter was für
Schwierigkeiten, mit welch primitiven Mitteln, unter was für
unsäglichen Mühen, dann läuft mir ein leiser Schauer den Rücken
hinunter. Und doch liebe ich dieses Buch, weil es mein erstes
war, weil es ein schicksalbestimmendes Erlebnis spiegelt, weil
es meinem bescheidenen Handwerk in der Kunst die Wende brachte
und mir zum künstlerischen Durchbruch verhalf, ja, und
schließlich, weil es mir einen Namen gemacht und mir zu einigem
Ansehen verholfen hat.
Trotz aller
Bedrängnis und Unzulänglichkeit war es doch eine schöne, eine
glückliche Zeit damals, als Senhor Nelson, Cândido und ich in
unserer bescheidenen, aber doch eigenen Offizin, in unserer
Imprensa, arbeiteten und druckten. Der Strand von Bahia
glühte in der Tropenhitze, und unsere Arbeit kostete uns viel
Schweiß. Ich hatte eine kleine Andruckpresse im
Sankt-Bento-Kloster aufgetrieben; dort bei den Mönchen, und
hatte sie, nachdem ich wiederholt damit gedruckt hatte, auch
erwerben können, worüber ich natürlich sehr froh war.
Ich habe mir
den schuhputzenden Nelson von der Straße geholt, der wirklich
verwahrlost war und nachher mit einem Doublé-Armband ging und
Drucker war, und habe Cândido dazugenommen. Ich habe sie
zunächst einmal als Drucker angelernt. Cândido war unser
Wasserträger, der uns das Wasser verkaufte; ein großer,
breitschultriger Neger, schön wie Apoll.
Nelson baute
zunächst die Presse zusammen, während ich noch an den
Holzstöcken schnitt. Dabei erwies sich, daß an der Maschine hier
ein Teil und dort ein Teilchen fehlte. Nelson war auch
Schlosser. Nelson war einfach alles: Glaser, Maurer,
Kittfabrikant, Monteur und nun auch Drucker. Und was immer er
aufstellte: man konnte ihm einfach nicht böse sein. Sein Eifer
machte alles wett, selbst wenn er das, was er gerade in der Hand
hielt, vor lauter Eifer fallen ließ oder zerbrach. Ungeschick im
Umgang mit zivilisatorischen Errungenschaften haftet den Negern
fast wie ein Laster an. Dieses lasterhafte Ungeschick ist so
verhängnisvoll, daß es ihnen beinahe schon wieder zur Tugend
gereicht, wenn etwas heil bleibt.
Das Papier
zum Druck des Buches bekam ich von einem befreundeten Verlag von
Sâo Paulo geschickt, von Rudolfo Klein, dem Verleger der
Kunstzeitschrift "Habitat". Es kam in einer großen Kiste, in
schön glatt gelegtem Stapel
Durch
Erfahrung klug geworden, schickte ich diesmal nicht Senhor
Nelson, sondern Cândido in die Stadt, in eine Buchbinderei, um
das Papier schneiden zu lassen. Ich gab ihm die genauen Maße
mit. Das Format lag fest. Doch auch Cândido konnte nicht lesen.
Außerdem hatte er noch ein Rendezvous mit einem Mädchen und
hatte vielleicht inzwischen irgendwo unter einer Palme
geschlafen. Jedenfalls kam er mit einem kleinen Teil des Papiers
an, und - ich dachte, mich rührte der Schlag ! - das Papier war
verschnitten. Das ganze Papier für die Auflage von 500
Exemplaren war vollkommen verschnitten. Das Format langte weder
in der Höhe noch in der Breite. Der gute Cândido konnte es
einfach nicht fassen. Er wandte immer wieder ein, dass das
Papier aber doch viel mehr geworden sei ! Es war nichts zu
machen. Ich war der Verzweiflung nahe.
Das also war
der Grund, weshalb das Buch dann viel zu klein im Format wurde,
dass nur ein ganz kleines Blatt übrig blieb und die farbigen
großen Holzschnitte jetzt alle scharf auf den Rand und teils
noch darüber hinausgehen.
Kürzlich
tauchte nun ein Exemplar dieser ersten Auflage im Münchener
Kunsthandel auf, ich fand es in einem Auktionskatalog
verzeichnet und war erstaunt über den Preis, zu dem es angesetzt
war. Hätte man mir das damals in Amaralina gesagt, wäre mein
Kummer über das kleine Format gewiss nicht halb so groß gewesen.
Der Weg von
Amaralina nach der Stadt, nach Bahia, war weit, rund 40
Kilometer. Ich sagte Cândido: Nimm dir dort für das Papier einen
Wagen, ein Eselsgespann, und fahre das Papier wieder zurück.
Er war sehr
bedrückt und war doch so treu, so unerhört treu. Er wollte mir
die Ausgabe ersparen. Er sagte sich, wozu soll ich mir einen
teuren Wagen nehmen ? Das Geld kann ich meinem Senhor schon
wieder einsparen. Ich werde ihm das fluchwürdige Papier auf dem
Kopf nach Hause tragen. Also trug er das Papier auf dem Kopf zu
mir. Gottlob blieb das Wetter günstig, es fiel kein Regen. Und
doch war das Papier kaputt, als es ankam. Durch den Druck der
Eigenlast und die schaukelnden Bewegungen auf Cândidos Kopf
hatte es schwer gelitten. Manches Blatt wies Bug und Bruch auf
und war kaum noch zu verwenden.
Da ich kein
anderes Papier bekommen konnte und doch endlich beginnen mußte,
haben wir also genommen was wir hatten. Wir haben gedruckt,
monatelang. Fast hat es ein halbes Jahr gedauert.
Nelson hat
mit der Hand eingewalzt, und Cândido hat die Walze mit der Hand
rübergezogen. So entstand mein erstes Buch. Dabei stürzte ich
mich jeden Morgen in neue Abenteuer. An der Presse fehlte
irgendeine Schraube. Ich sagte zu Nelson: Geht hin zum
Schlosser; laßt eine Schraube anfertigen, wenn er keine passende
hat, aber bringt mir eine Schraube und dreht endlich dieses Ding
da fest. Es treibt mich noch zum Wahnsinn !
Nein, die
Schraube wurde nicht herbeigeschafft. Es mußte ein
Spezialgewinde geschnitten werden oder sonst etwas. Ich habe es
nie begriffen. Jeden Morgen, bevor mit dem Druck begonnen werden
konnte, wurde eine halbe oder auch eine volle geschlagene Stunde
damit vertan, die Maschine zu richten. Mit Draht wurde jedes
lockere Teil erst wieder festgebunden. Und dann - o Wunder !
-funktionierte die Maschine. Später hatte ich auch noch eine
große Buchbinderpresse, eine sehr schwere Presse. Ich hatte sie
in São Paulo gekauft. Sie kam per Schiff nach Bahia und machte
eine Reise, so weit wie von Hamburg nach Moskau. Wir haben diese
Buchbinderpresse gleichfalls benutzt. Inzwischen waren Nelson
und Cândido als Drucker schon sehr vornehm geworden. Wir nahmen
uns also noch zwei weitere Hilfskräfte, ebenfalls Neger, die die
gröbere Arbeit verrichteten. Eine große eiserne Stange wurde
durch die Spindel geschoben, und nun gingen die beiden Neuen -
zwanzig Umdrehungen waren jedes mal nötig - wie die Matrosen
beim Ankeraufwinden in alter Zeit oder auch wie Karussellpferde
immer um die Achse herum. Man muß sich das vorstellen:
zwanzigmal im Kreis herum, um einmal zu drucken! Das war
schlimmer als zu Gutenbergs Zeiten. Gewiss würde diese primitive
Druckerei von Amaralina dem Gutenberg-Museum zu Mainz alle Ehre
machen.
(Aus: Konrad
Tegtmeier, "Hansen-Bahia erzählt von Brasilien". Progress-Verlag
Johann Fladung GmbH., Darmstadt 1962.)
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