Ich
sehe in den Spiegel ...links
über meiner Oberlippe die behaarte Warze, der nachgefärbte
Bart und darüber das
ergraute Kopfhaar.
Mit fünfundfünfzig
Jahren sieht man kritisch in den Spiegel, man
sagt sich, Heckel ist am
letzten Dienstag unweit seines Alterssitzes verschieden...
(Nachrichtenmagazin Der
Spiegel vom 2. Februar 1970)
Spiegelgespräche:
" Du bist nun fünfundfünfzig Jahre alt, schneidest seit
fünfundzwanzig Jahren Holz,
Heckel ist tot, du wächst in jene Generation von
Holzschneidern hinein, die
man die ,Deutsche' nennt, und stehst am Anfang der Kunst."
"Jetzt..." ,
schreibt Der Spiegel - mal sehen - "Aus
provinziellem Muff und Mief
drängen deutsche Künstler auf die Höhe der internationalen
Avantgarde vor, mit
Tierfell-Attrappen, wabernden Schaumstoffpyramiden und
sehenswerten Küchenherden,
aus denen Schokolade quillt.
" Kaugummi
"-Lösungen der Moderne, die entfremdend Ausstellungsbesucher
auf fünf tausend klirrende
Küchenlöffel schickt.
Ich sehe gern in
den Spiegel, gern in Den Spiegel, der
mir unter Bahias Kokospalmen
Informationsquelle ist. Aber, was
soll das? Der Spiegel sagt es mir: "Du bist fertig
mit dem Rummel drüben und
auf dieser Ozeanseite, denn mit dem Holzschnitt hat das
nichts zu tun."
Wir deutschen
Holzschneider sind Handwerker. Lassen wir die "Avantgarde"
beiseite, wenn wir vom
Holzschnitt sprechen: der hat seine eigene Sprache.
Mit Fünfundfünfzig
bilden sich Warzen auf der Oberlippe, das Haar beginnt zu
grauen, als Künstler ist
man jung wie am ersten Tag.
Das Leben ist
kurz. Es reicht nicht aus, um das zu schneiden, was man
will. Der Spiegel
sagt mir: "Habe Respekt vor den Meistern" - ich weiß, was
ich nicht kann.
Ich versuchte
mich, Dürers Holzschnitten auf die Spur zu kommen, schnitt
seine Themen, bedacht, zu
lernen und in meine Art respektvoll umzuformen. Nicht
vermessen, um mich zu
messen, sondern aus simpler Ehrfurcht vor dem, was
Holzschnitt ist und immer
bleiben wird.
Mögen andere
"Gummi kauen", um nach vorn zu kommen, Küchenherdmäuler mit
Schokolade stopfen, um nicht passé
zu sein. Passé ?
Dürer schrieb aus
Italien: "O, wie wird mich nach der Sunnen frieren, hie bin
ich ein Herr, doheim ein
Schmarotzer." Erlaubt mir, den Meister zu zitieren, der
unter Pinienwäldern und
lateinischen Kollegen seiner Zeit mehr Wärme fand.
Erlaubt mir meinen Palmenwald, die
Unterschiede der Stellung des Holzschneiders in
seiner eigenen Welt und das offene
"Spiegelgespräch", erlaubt mir - auch hier ein
deutscher Holzschneider zu werden.
Hansen-Bahia
Bahia, am 1. Mai 1970
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