Home Inhaltsverzeichnis

 

Zur Arbeitstechnik Hansen-Bahias

 

In dem im Jahre 1568 zu Frankfurt erschienenen, mit Reimen von Hans Sachs versehenen Holzschnittbuch des Jost Ammann "Eigentliche Beschreibung aller Stände auf Erden" befindet sich ein Blatt, das von der Arbeitstechnik des Holzschneiders handelt. Man sieht einen Mann im Kostüm der Zeit, der den Kopf über eine Holzplatte neigt, die er mit der Linken auf dem Tisch festhält, während die rechte, zur Faust geballte Hand ein Messer führt - ein Vorgang, den Sachs mit den Versen erklärt:

"Ich bin ein Furmenschneider gut.

 Alls, was man mir vorreißen tut 

 mit der Feder auf ein Furmbrett; 

 das schneid ich denn mit dem Gerät. 

 Wann man's denn  druckt, so findt sich scharf 

 das Bild, so der Reißer entwarf; 

 die steht denn druckt auf dem Papier

 mit Schwarz, unausgestrichen schier."

So beschreibt der Dichter anschaulich die Grundtätigkeit des Holzschneiders und das Wesen der Holzschnittkunst, die damals in den Blättern der Dürer und Holbein ihren klassischen Höhepunkt fand. Dürer selbst hat freilich nicht in Holz geschnitten, sondern beschränkte sich auf die Zeichnung, nach der solcher Schnitt ausgeführt wurde- war also das, was man dazumal als den "Reißer" bezeichnete.

In der neuen Blütezeit des Holzschnitts, die mit Edvard Munch und Paul Gauguin begann, dann speziell von den deutschen Expressionisten wie Barlach, Beckmann, Heckel, Kirchner, Nolde, Schmidt - Rottluff im ersten Viertel des XX. Jahrhunderts abermals zur Höhe geführt wurde, hört die Arbeitsteilung zwischen Zeichner und Holzschneider mehr und mehr auf. Beide identifizieren sich in ein und derselben Person, und das rein holzschnittmäßige Denken gewinnt so sehr Vorherrschaft, dass nunmehr viele Künstler ohne jede Vorzeichnung schneiden.

Damit wurde eine grundsätzliche Rückkehr zum Handwerklichen vollzogen, das durch seine enge Verbundenheit mit dem Künstlerischen es erlaubte, die handwerklichen Formen des Schnitts sowohl aus der künstlerischen Anschauungsweise wie aus dem Material und seiner Struktur zu entwickeln. Ging es doch jetzt nicht mehr um die "Übersetzung" der Zeichnung in Holzschnitt, sondern um unmittelbar schöpferische Tätigkeit.

Hansen - Bahia ist solch ein Holzschneider, der ohne Vorzeichnung arbeitet. Sein Temperament erlaubt ihm keine Umwege, denn er ist der Ansicht, dass eine Vorzeichnung die Frische des direkten Holzschneide-Erlebnisses nehmen würde. Er macht nicht einmal etwaige Vorstudien auf dem Papier; das Bild entsteht allein durch den Schnitt,  der wegnimmt und stehen läßt. Um den Vorgang technisch zu erklären, muss vom Material ausgegangen werden. Jedes Holz läßt sich bearbeiten, so verschieden die Härtegrade auch sein mögen. Das weiche Kiefernholz, die härteren Ahorn, Kirsche, Rüster, Eiche und die noch härteren brasilianischen Eisenhölzer haben Hansen als Material gedient, und es erfüllt mit echter Bewunderung, wie viel Lebendigkeit er als Holzschneider dem oft spröden und schwierigen Material abgewinnt. Die organische Struktur der Holzart stellt sich mitunter der beabsichtigten Schnittrichtung entgegen und möchte das Messer in die Wuchsrichtungen ausweichen lassen. Hansen jedoch will solche Zufälligkeiten nicht, denn er folgt nicht sklavisch dem Wuchs des Holzes, dem er seine Bildvorstellungen eingräbt. Dem widerspricht nicht, daß diese ins vorhinein den Wuchs, der sich als "Maserung" zeigt, einbezieht in die geplante Gestaltung.

Die Werkzeuge, die Hansen benutzt, sind vielfältig-verschieden. Neben einigen wenigen Messern, die er schon seit Beginn seiner Tätigkeit als Holzschneider gebraucht, spielt ihm mitunter der Zufall andere Gegenstände in die Hand, wie spitze oder stumpfe Nägel, Schab- oder Rasierklingen - mal ein Schneiderradelrad, mal eine alte Schere, eine Stahlbürste oder eine Bohrmaschine. Mit all diesem läßt sich etwas anfangen, können bestimmte Wirkungen hervorgebracht werden; immer greift der Künstler nach dem Werkzeug, das im Hinblick auf das in seiner Vorstellung zu erstrebende Endresultat im Moment das richtige zu sein scheint.

Hauptinstrument aber ist ein kurzschäftiges Messer, ähnlich dem, wie es die Formschneider der Gotik benutzten. Der sicher geführte Messerschnitt ersetzt die Zeichnung. Die Holzplatte ist, bevor die Schneidearbeit beginnt, auf der Oberfläche mit schwarzer Farbe eingewalzt, so daß alles, was herausgeschnitten wird, weiß erscheint. Eine Korrektur ist nun nicht mehr möglich; was herausgeschnitten ist, läßt sich nicht ergänzen. Dabei muss der Holzschneider spiegelverkehrt denken; was hernach auf dem fertigen Druck im Bilde rechts erscheinen soll, muss im Negativ des Holzstocks links eingeschnitten werden, und umgekehrt.

Die Linien und Flächen, die stehen geblieben sind, unterliegen Gesetzen, deren Nichtbeachtung sich bitter rächen würde. So erfordern z. B. feine und feinste Linien, die bei der Lithographie als einem Flachdruck-Verfahren keinerlei Schwierigkeiten machen, für den Hochdruck in Holz ein technisches Wissen um gewisse Belastungsmöglichkeiten. Um ein Beispiel zu geben: eine nadelkopfgroße Spitze hält weniger Druck aus als eine pfenniggroße Fläche. Feine Linien bedürfen eines kräftigen Unterbaus; dieser "Steg" entsteht, indem die Messerführung im Holz nach schräg außen verläuft, so daß auf dem sich nach oben verjüngenden Fundament die zarte Linie genügend gesichert ist, um den intensiven Druck der Presse auszuhalten und weder zerbrochen noch zerquetscht zu werden. Nur ständiger Umgang mit Werkzeug und Material schafft jene Erfahrungen. "Das Wichtigste," sagt Hansen, "scheint mir: das Holz kennen zulernen, mit ihm auf ´du und du' zu kommen - zu wissen, was es von sich aus gibt, um herauszufinden, was die Hand dabei noch tun kann. Die Hand ist das Wichtigste! Sie sieht schneller als das Auge, das erst dann kontrolliert, wenn der Schnitt geführt ist. Ebenso, wie der Violinspieler ein differenziertes Handgefühl besitzen muss, ist auch der Holzschneider auf ein solches angewiesen. Erst wenn einer das Material beherrscht, weil er es kennt, bringt die Arbeit Freude und Erfolg."

Aber selbst dem Geübten und Erfahrenen gelingt nicht immer und zu jeder Zeit ein erstrebtes Vorhaben; denn nicht immer ist die Hand in "guter Form". Hansen bekennt freimütig, dass er jedes Mal, wenn er eine Weile das Schneidmesser ruhen ließ, sich wieder wie ein Anfänger fühlt. Eine neue Phase beginnt mit einer gewissen Unsicherheit ungelenk und darum - last not least - unlustig. Gerade weil Hansen Zufälligkeiten der Wirkung ablehnt, macht ihm das die Arbeit zunächst schwer; dann aber stellt sich fast plötzlich Sicherheit ein, die oft über Wochen anhält und gewährt, dass in solcher Zeit zehn, zwanzig oder dreißig Holzschnitte in dichter Folge entstehen. Damit die Hand dabei in guter Übung bleibt, unterbricht der Künstler diesen Arbeitsrhythmus nicht einmal durch Zwischendrucke, sondern wartet, bis die schöpferische Phase im Abklingen begriffen ist. Erst dann beginnt die Zeit des Druckens. Dabei soll es keine Täuschung geben. Hansen lehnt sogenannte "Falzbein-Reibdrucke" entschieden ab, mit denen man nachmalend Effekte vortäuschen kann, die in der geschnittenen Platte gar nicht vorhanden sind. In seinem strengen Festhalten am reinen Holzschnitt hat Hansen niemals Konzessionen gemacht und gleicht darin seinem berühmten Kollegen Frans Masereel. Jeder Abzug, der die Handpresse des Druckers verläßt, ist ein Original. Zwar ist der Holzschnitt nicht wie die Monotypie auf einmalige Wirkung bedacht, aber jeder Abdruck in der gesamten Auflage soll gleichwertig sein. Daß es dabei, anders als bei der modernen mechanischen Reproduktionsgraphik, immer kleine feine Unterschiede zwischen den einzelnen Blättern geben kann, ist eine schätzenswerte Eigenschaft der manuellen Bildgraphik, die heute wie zu Dürers und Gutenbergs Zeiten zu neuen Ehren kommt.


                                                                                                                            Christian Otto Frenzel

(Gekürzte Fassung eines Textes aus der Biographie "Hansen - Bahia. Stationen und Wegmarken eines Holzschneiders". Hans Christians Verlag, Hamburg 1960.)